Bundespressekonferenz – Remember their Faces – Remember their Stories – 17. April 2023

Beim Anschauen des Drehmaterials © Joanna Vortmann

Ausstellungseröffnung für gefangene und ermordete Journalist:innen und Medienarbeiter:innen in aller Welt

Iris Rohmann und Joanna Vortmann sind nach Berlin zur Bundespressekonferenz gereist. Dort wurde am 17. April die Ausstellung der Wahrheitskämpfer eröffnet: „Remember their faces remember their Stories“

Ich hatte die Ehre, die Ansprache zu halten.

Hier die Webseite der KünstlerInnen https://wahrheitskaempfer.de/

Hier der Text der Ansprache

In den vergangenen 20 Jahren sind nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen insgesamt 1.657 Journalisten und Journalistinnen bei oder wegen ihrer Arbeit ums Leben gekommen – im Schnitt an jedem vierten Tag!

Die Motive sind immer dieselben: Korrupte Regierungen und Wirtschaftsbosse sehen sich an den Pranger gestellt, religiöse Fanatiker töten im Namen Gottes, mächtige Drogenkartelle, und Mafia-Clans wollen ihre schmutzigen Geheimnisse wahren.

Journalist:Innen, Medienschaffende, Medientechniker – sie gehen an jene Orte, an die wir nicht gehen können. Sie decken Verbrechen auf, lesen Geheimdokumente, geraten zwischen die Fronten, sprechen mit Zeugen und Whistleblowern – weil die Wahrheit ans Licht kommen muss.

Sie sind diejenigen, die die Mächtigen in Schach halten – daher ist die Pressefreiheit auch zurecht eine wichtige Säule der Demokratie – neben dem Rechtsstaat. Und was Tyrannen weltweit deshalb zu allererst abschaffen ist – die Freiheit der Presse.

Heute beginnt die Ausstellung der Wahrheitskämpfer e.V. für die Wahrheitskämpfer:innen in aller Welt. Was Sie hier sehen ist ein Ausschnitt der Ausstellung, die mittlerweile mehr als 700 Portraits umfasst, Von Männern und Frauen, die sich unter Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens auf den Weg gemacht haben, um die Puzzleteile des Macht-Mißbrauchs zu recherchieren, zusammenzusetzen und öffentlich zu machen.

Die Wahrheitskämpfer e.V. sind eine internationale Künstler-Innen-Gruppe, die es seit 2015 gibt. Gegründet wurden sie von Susanne Köhler. Gemeinsam mit ihrem Partner Gerhard Keller, der sie in allem unterstützt. Und einige der engagierten und teilnehmenden KünsterInnen sind ebenfalls heute hier, Sie können sie unschwer an ihren T-Shirts erkennen.

Ich persönlich kenne die Wahrheitskämpfer seit Jahren, weil ich mich – ebenfalls seit Jahren – journalistisch mit der Kollegin Daphne Caruana Galizia beschäftige, die in Malta ermordet wurde. Bei meinen Recherchen stieß ich auf dieses Portrait, das mich sehr tief berührt. Die Intelligenz und die Feinheit von Daphne sind deutlich zu sehen. Und auch ihr Witz blinzelt durch und ihre Skepsis an der Vernunft der Menschen. Hier vor Ort ist auch die Kölner Künstlerin Joanna Vortmann, die Daphne zu Ehren eine Video-Installation erschaffen hat, mit Unterstützung der Familie der Ermordeten.
Das Portrait von Susanne Köhler hat die Ausstellungen von Joanna schon begleitet und umgekehrt.
Heute freue ich mich sehr über die gemeinsame Veranstaltung und die Gelegenheit und die Ehre, das wunderbare Projekt der Wahrheitskämpfer vorstellen zu dürfen.

Susanne erlebte eine persönliche Erschütterung am 7. Januar 2015, als bei dem Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo 12 Menschen getötet und etliche schwer verletzt wurden. Das Motiv: Religiöser Fanatismus. Wir erinnern uns alle an die schrecklichen Bilder

Susanne Köhler begann mit ihren ersten Portraits. Sie sagt: „Schon bei den ersten Versuchen merkte ich, dass es dabei nicht um eine fotographische Ähnlichkeit ging. Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Getöteten und mit den Zuständen in dem jeweiligen Land setzten eine sehr intensive Dynamik in Gang: zunächst ein fremdes Gesicht auf dem Foto, dann das Wissen um das Schicksal der Person – ich kannte das Ende dieses Menschen, aber er oder sie schaut mich fröhlich, mutig oder nachdenklich an, ohne von dem drohenden Schicksal etwas zu ahnen.“

Es folgten viele weitere Portraits. 2019 wurde dann der Verein Wahrheitskämpfer e.V. gegründet, auch um eine solide finanzielle Basis für Aktivitäten zu schaffen – so wie diese Veranstaltung heute.

Die Portraits werden heute national und international, online und als sichtbare Ausstellung wie hier – gezeigt. Über 70 Künstler und Künstlerinnen weltweit beteiligen sich daran und es werden immer mehr.
Denn: Die Ausstellung ist auch eine Einladung: Jeder und jede, die sich berufen fühlt, kann sich dem Projekt der Wahrheitskämpfer anschließen – als Künstlerin, Hobbymaler, Unterstützer, Rechercheur oder bei der Unterstützung von Petitionen und Briefaktionen – zum Beispiel um inhaftierte KollegInnen freizubekommen.

Viele empfinden es als eine Möglichkeit, dem Ohnmachtsgefühl angesichts der schlimmen Zustände in vielen Regionen der Welt etwas entgegenzusetzen durch das eigene Engagement. So möchte man sagen: Je mehr Wahrheitskämpfer es gibt, desto besser für Demokratie und Pressefreiheit.

Kunst kann Menschen berühren und auch aufrütteln. Diese 50 Portraits zeigen mehr als die Fotografien, die ihnen zugrunde liegen. Sie erwecken ein Gefühl, lassen vieles ahnen. Manche Personen stehen ganz für sich ohne Kontext, andere zeigen Andeutungen einer Landschaft, einer Heimat, die einen sind verspielt, voller Lebensfreude, andere ernst oder introviertiert – fein gezeichnet, oder mit starken Farben betont. Ein Querschnitt des ganzen bisherigen Archivs.

Das Wichtige für die Wahrheitskämpfer ist – dass all die Namen der Getöteten, der Inhaftierten, die wir am Abend vielleicht flüchtig in der Tagesschau gehört haben, aus der Anonymität heraustreten, und Gesichter beginnen, eine Geschichte zu erzählen, die bleibt.

Das Motto lautet: Remember their faces – remember their stories. Was für ein wichtiger Satz!
Journalisten werden ermordet, doch das Kalkül der Mörder geht nicht auf, wenn wir die Menschen und ihre Storys am Leben halten, weltweit dokumentieren, damit ihr Mut und Ihre Opfer nicht vergessen sind.
So entsteht eine mobile und eine virtuelle Gedenkstätte für die „Wahrheitskämpferinnen“ und „Wahrheitskämpfer“, immer wachsend, in aller Welt als Mahnmal der Pressefreiheit….
Wir denken ja immer, Journalisten werden woanders ermordet. In Bananenrepubliken oder Kriegsgebieten. Doch immer häufiger werden Demokratien durch Diktatoren oder Militär-Regierungen ersetzt, durch „lupenreine Demokraten“ wie Wladimir Putin oder Bashar Al Assad, die einen Massenmord am eigenen Volk zulassen oder sogar selbst begehen. Die Welt schaut zu.

Allein in Syrien sind in den letzten Jahren fast 300 Medienschaffende getötet worden.
Beispielhaft hier das von Susanne Köhler gezeichnete Portrait von Saad al Ahmad, der 2019 in Syrien einen humanitären Konvoi mit kurdischen Zivilisten begleitete. Es kamen Flugzeuge, die den Konvoi gezielt bombardierten. Dabei starben elf Menschen, 74 weitere Menschen wurden verletzt. Der Korrespondent Saad al Ahmad wurde durch ein Schrapnell am Kopf getroffen und starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Ebenso wie sein Kollege Mihemed Resso

Diese Ausstellung erzählt 50 solche Geschichten. 50 von 1.657 in den letzten 20 Jahren. Es ist – wie gesagt – ein Querschnitt. Alle relevanten Weltregionen sind vertreten, Länder, in denen es viele Fälle gibt, wie Mexiko, Afghanistan oder Russland, Frauen und Männer, Prominente und Unbekannte, Getötete und Inhaftierte, aktuelle und historische Fälle wie Carl Gerlich, der 1934 von den Nazis im KZ Dachau gefoltert und dann ermordet wurde. Bis zum Schluss warnte seine deutschen Mitbürger:

„Ihr, die ihr diesem Betruge eines von der Gewaltherrschaft Besessenen verfallen seid erwacht! Es geht um Deutschland, um Euer, um Eurer Kinder Schicksal.„ Wir alle wissen, seine Warnungen blieben vergeblich.
Jedes dieser Portraits erzählt auch die „Geschichte dahinter“, denn die historische Recherche ist immer ein Teil des Wahrheitskämpfer-Projektes. Wie kam es zu dem Mord, warum wurden Reporterinnen und Reporter ins Gefängnis gesteckt? Kamen sie frei? Wer setzte sich für sie ein? Und wie kann es sein, dass mitten in Europa am hellichten Tag eine Journalistin durch eine Bombe in Stücke gerissen wurde.
Daphne Caruana Galizia lebte nicht in einer Bananenrepublik, nicht in einem Kriegsgebiet, sondern in einem EU Land, einer Demokatie, auf Malta, die viele von uns aus Urlaubstagen kennen.
Sie war eine einzigartige Journalistin und Bloggerin, die quasi im Alleingang gegen eine korrupte Regierung ankämpfte. Sie offenbarte die Verstrickung von Ministern in die Panama-Papers, wurde bedroht, beschimpft, vor Gericht gezerrt, sexistisch beleidigt, körperlich angegriffen, gestalkt, isoliert und am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe in die Luft gesprengt.

Eine Woche vor ihrem Tod erklärte sie in einem Interview:
„Auf Malta nennt man mich die „Hexe von Bidnija“. Ich meine: Wann wurden Frauen als Hexen beschimpft? Das war im Mittelalter! Hexe! Und für viele Leute bin ich das personifizierte Böse.“

Europa, das moderne Europa, ist längst nicht so modern, ist längst nicht mehr die Insel der Seligen – auch für die Pressefreiheit nicht. Es begann 2017 mit Daphne Caruana Galizia in Malta, ein halbes Jahr später Jan Kuciak mit seiner Partnerin in der Slowakei ermordet. Wiktorija Marinowa 2018 – angeblich hatte ihr grausamer Tod nichts mit der Aufdeckung von Korruption eine Woche zuvor zu tun. Lyra McKee wurde bei einer Demonstration 2019 in Nordirland erschossen. Der Grieche Giorgios Karaivaz erschossen 2021 auf offener Straße. Dann der Niederländer Peter de Vries im Sommer 2021. Auch sein Portrait sehen Sie in dieser Ausstellung. Geschaffen hat es Christine Krahé – dieses und noch viele andere Portraits.

Auch Jamal Kashoggi lebte im Westen. Einer der Journalistenmorde, die weltweit Schlagzeilen machte, bis alles am Ende unter den Teppich gekehrt wurde – mehr oder weniger. Er wurde portraitiert von Fritz Giersbach, den Sie hier sehen, und der noch viele andere Portraits geschaffen hat.

Jamal Kashoggi wurde 2018 in der Türkei ermordet. Er wurde erdrosselt und zerstückelt, vermutlich auf Anordnung des saudischen Thronfolgers Mohammad bin Salman. In einem nach seinem Tod veröffentlichten Text schrieb Jamal Khashoggi über den Kronprinzen:

„Absolute Macht ist ein Fehler. Und wir Araber haben schlechte Erfahrungen gemacht mit scheinbar aufrichtigen, Anführern, die sich viel zu schnell in Diktatoren verwandelten. Von solchen Anführern rühren unsere Leiden, unsere Notlagen, Niederlagen und Bürgerkriege her.“

Kennzeichen von Diktaturen sind immer dieselben: Es werden die Frauenrechte abgeschafft, Homosexuelle werden verfolgt, die Pressefreiheit verschwindet und Kritiker werden bedroht und zum Schweigen gebracht. Von all dem dringt oft nur wenig nach außen.

In dieser Ausstellung befinden sich auch fünf Portraits von chinesischen Journalistinnen, die aktuell in Haft sind. Über ihr Schicksal ist wenig bekannt, und deutsche PolitikerInnen haben wenig Einfluss auf die chinesische Regierung, an menschenrechtswidrigen Taten etwas zu verändern – zu wichtig sind die wirtschaftlichen Beziehungen. Wenn man sagt: Geld oder Leben – gewinnt leider meistens das Geld.

Aber auch in armen Ländern haben Journalisten einen schweren Stand. In Haiti herrscht ein Klima geprägt durch Korruption Gewalt und Naturkatastrophen. Der Fotojournalist Maximilien Lazard dokumentierte einen Arbeiterstreik am 23. Februar 2022, es kam zu Tumulten, Tränengas wurde eingesetzt. Offenbar hat die Polizei den Journalisten angeschossen, er starb an einer Bauchwunde. Portraitiert hat ihn – und viele andere – der hier anwesende Künstler Udo Reckmann.
Anwesend ist hier auch der Künstler Gökhan Bozkus – er hat viele türkische Journalisten und auch andere portraitiert, unter anderem den Schriftsteller Ahmed Altan, der 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, und 2021 wieder freikam. Vorläufig jedenfalls. Weitere 63 seiner Kollegen waren im letzten Jahr in der Türkei in Haft.
Auch im Nachbarland Iran sind seit Beginn der Proteste mehr als 90 Medienschaffende verhaftet worden. Stellvertretend sehen Sie hier ein Portrait der Journalistin Melika Hashemi.
„Wenn ich getötet werde, sucht den Mörder im Kreml.“ Dieser berühmte Satz der unvergessenen Journalistin Anna Politowskaja, die 2006 vor ihrer Wohnung erschossen wurde, hat leider traurige Aktualität.
In Europa bleibt laut Reporter ohne Grenzen Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden. Seit Wladimir Putin an der Macht ist, habe es vermehrt systematische Angriffe auf die Pressefreiheit gegeben, darunter mindestens 37 Morde. Acht davon in der Ukraine – gezielte Tötungen sagt Reporter ohne Grenzen. Und Mordversuche – wir sehen hier das Portrait des unsagbar mutigen Alexej Nawalny – portraitiert von Georg Ziegler.
Die meisten der weltweit verfolgten oder inhaftierten oder getöteten Pressevertreter:innen sind keine Deutschen, nicht einmal Europäerinnen. Wir können uns glücklich schätzen, dass hier die Regeln des Rechtsstaates gelten und Bürger und Bürgerinnen in Sicherheit leben können, sagen können was sie wollen.
Dennoch auch wir müssen wachsam sein. Pressefreiheit ist ein angreifbares Gut. Im Zeitalter von Fake-News verbreiten Lügen sich schneller, als Wahrheiten. Und Drohungen sind leider auch hierzulande schon fast normal im Alltag von Journalisten. Ich selbst bin z.B. eine eher „harmlose“ Journalistin, ich beschäftige mich hauptsächlich mit Landwirtschaft und Ernährung. Aber sogar ich habe schon Drohungen erhalten und gräßliche Beschimpfungen.
Andere KollegInnen von mir erleben es aber viel schlimmer – wie Dunja Hayali, meine Kollegen Georg Resle und Golineh Atai, Hasnain Kazim oder Nicole Diekmann. Sie erhalten Mord Drohungen fast täglich und werden überschüttet mit Hass. Kamerateams und Journalisten werden bei Dreharbeiten angegriffen und verletzt, ihr Equipment zerstört. Im Jahr 2021 registrierte eine Studie 83 solche Angriffe. Fast an jedem 4. Tag.
Lassen Sie uns bedenken: Ohne unseren Schutz und unsere Unterstützung sind Medienschaffende Freiwild. So wie Daphne Caruana Galizia es ausdrückte: „Es sind die Schweigenden, die mir Angst machen. Sie sind es, die dir am Ende in den Rücken fallen werden.“
Damit dies nicht geschieht – dazu soll diese Ausstellung der Wahrheitskämpfer beitragen.
Damit wir uns an ihre Gesichter erinnern und ihre Geschichten weiter erzählen.
Das wäre schon viel! Vielen Dank und ich übergebe das Wort an Susanne. Danke.

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